Mitten unter uns – obdachlose Kinder und Jugendliche in Deutschland
Kinder, die auf der Straße leben – das verbinden wir meist mit fremden, fernen Ländern. Doch leider beschränkt sich die Problematik, dass Kinder und Jugendliche kein Zuhause und somit keinen Schutzraum haben, nicht auf andere Länder: Auch in Deutschland leben weiterhin Kinder und Jugendliche Tag für Tag auf der Straße.
Wie viele obdachlose und wohnungslose Kinder und Jugendliche gibt es in Deutschland?
Nach einer Studie des DJI leben in Deutschland schätzungsweise 37.000 Kinder und Jugendliche im Alter bis einschließlich 26 Jahre auf der Straße bzw. ohne festen Wohnsitz. Zudem geht man von 6.500 Minderjährigen aus, die auf der Straße leben. Diese Zahlen sind Schätzungen, da es eine große Dunkelziffer in diesem Bereich gibt. Denn wenn Kinder von zuhause ausreißen und abtauchen, registrieren sie sich an keiner offiziellen Stelle. Die Anonymität der Großstadt ist für viele ein Anreiz, nach Berlin zu kommen.
Gründe für Obdachlosigkeit
So individuell wie jeder junge Mensch ist, so vielfältig und komplex sind die Biografien und der Weg in die Obdachlosigkeit. Häufig berichten die Straßenkinder von Gewalterfahrungen oder Verwahrlosungstendenzen in ihren Herkunftsfamilien. Außerdem spielen Armut, Arbeitslosigkeit, Überschuldung, niedrige Bildungsabschlüsse der Eltern sowie eine Suchtproblematik, wie beispielsweise Alkoholismus, bei mindestens einem Elternteil eine Rolle. Es können auch auslaufende Hilfen oder Sanktionierungen durch das Jobcenter dazu führen, dass junge Menschen in Obdach- oder Wohnungslosigkeit geraten. Wir erleben aber auch Jugendliche im Straßenkontext, die aus „gut situierten“ Elternhäusern kommen, sich nicht ernst genommen und verstanden fühlen und zu viel Druck erfahren. „Lieber lebe ich auf der Straße als für einen Tag länger bei meiner Mutter.“, sagt Jana (15 Jahre) und ist damit leider kein Einzelfall.
Warum erhalten diese Kinder und Jugendlichen keine Hilfe?
Eigentlich dürfte es in Deutschland keine obdachlosen Kinder und Jugendliche geben. Denn Eltern – oder wenn diese wegfallen, das Kinder- und Jugendhilfesystem – müssen garantieren, dass Kinder in sicherem Rahmen aufwachsen und für ihr zukünftiges Leben vorbereitet werden. Leider gibt es dennoch eine große Zahl an jungen Menschen, auch Minderjährige, die sich von ihrer Familie oder Hilfesystemen abgewandt haben und ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben. Sie fallen durch das Raster durch – sogenannte „Systemsprenger“. Aus Jugendhilfeeinrichtungen mehrmals weggelaufen, weil sie dort keinen Platz gefunden haben oder die Einrichtung „sich nicht als geeignet für die Jugendlichen“ betrachtet. Oder ganz einfach: Weil sie ab ihrem 18. Geburtstag aus manchen Hilfesystemen rausfallen. Doch mit dem 18. Geburtstag ist längst nicht gesagt, dass diese jungen Erwachsenen, die häufig von traumatischen Erlebnissen geprägt sind, nun bereit dafür sind, ein eigenständiges Leben mit Wohnraum so zu organisieren, dass sie ohne weitere Ansprechpersonen auskommen. Schon die Bewältigung behördlicher Hürden ist für viele allein kaum zu bewerkstelligen. Die Jugendhilfe endet häufig, obwohl den Jugendlichen mit Volljährigkeit eine Fortsetzung der Unterstützung rechtlich zusteht. Der Zugang zu Transferleistungen und Hilfeformen ist zu starr, als dass dies komplikationslos verlaufen könnte. Zuständigkeiten werden oft zwischen den Ämtern hin- und hergeschoben.
Ohne Geld überleben – wie finanzieren sich Straßenkinder und –jugendliche?
Wie hält man sich ohne Geld auf der Straße über Wasser? Eins ist klar: Das Geld ist knapp. Ältere wohnungslose Jugendliche erhalten teilweise staatliche Unterstützung. Die meisten der obdachlosen und minderjährigen Jugendlichen schlagen sich so durch: „Schnorren“ ist das Prinzip der Straße. Stundenlang sprechen die Kinder und Jugendlichen Passanten an, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Andere sammeln Flaschen und manche erhalten Unterstützung von Bekannten, nicht immer ohne Gegenleistung. Umso wichtiger sind gemeinnützige Einrichtungen wie unser Verein, die die Grundversorgung mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Kleidung für diese Kids sicherstellen.
Wohnungslos: Was ist verdeckte Obdachlosigkeit?
Nicht jedes Straßenkind schläft Nacht für Nacht auf der Straße. Es gibt viele, die immer wieder bei „Kumpels“ eine vorübergehende Bleibe finden. Als wohnungslos werden diese Kinder und Jugendlichen bezeichnet, wobei dies in vielen Fällen eine Sicherheit suggeriert, die nicht gegeben ist: Oftmals erfahren Kinder und Jugendlichen in diesen Verhältnissen Gewalt, Missbrauch und stehen in einer ungesunden Abhängigkeit zu den Wohnungsinhabern. Es fehlt ein nötiger Rückzugsort und ein Schutzraum, zusätzlich zu häufig fehlenden Ansprech- und Vertrauenspersonen und insgesamt einem sicheren Zuhause. Ohne Unterkunft schlagen sie sich durch und sind nicht selten einsam und allein.
Was sind die Probleme von obdachlosen Kindern und Jugendlichen?
Mögliche Probleme, die es den Kindern und Jugendlichen schwer machen, ihre Situation reflektiert zu betrachten und nötige Handlungsschritte zu gehen, um etwas an ihrer Situation zu verändern, sind:
• Multiple und komplexe Problemlagen
• Traumata
• psychische Probleme
• ungeplante Schwangerschaft
• stoffgebundene und stoffungebundene Abhängigkeiten
Häufig sind Einsamkeit und das Fehlen von Vertrauenspersonen ein Hauptgrund, warum Kinder und Jugendliche ihre Probleme nicht bewältigen können. Deshalb muss ihnen die Gelegenheit geboten werden, die eigenen Stärken und Fähigkeiten herauszufinden. Dadurch erhalten sie oftmals die Motivation, ihre Probleme anzugehen und etwas an ihrer aktuellen Situation zu verändern.
Unser Angebot – weil unser Motto Hoffnung ist
Als Straßenkinder e.V. haben wir uns zum Ziel gesetzt, Kinder und Jugendliche weg von der Straße in ein eigenständiges Leben zu begleiten. Dies ist oftmals ein herausfordernder Weg mit vielen Auf und Abs. Unsere über 21 Jahre lange Erfahrung zeigt uns, dass der Schlüssel zur Hilfe ein beziehungsorientierter Ansatz ist. Deshalb sind wir zu allererst für die Straßenkids da. Wir hören zu, bieten Vertrauen, geben einen Schutzraum, in dem sich die Jugendlichen ausprobieren können und ihre Potentiale (wieder-)entdecken und Erfolgserlebnisse sammeln können.
Wir vermitteln Hoffnung und helfen mit zahlreichen Maßnahmen, um Straßenkinder und -jugendliche nachhaltig auf ihrem individuellen Weg von der Straße zu begleiten:
• Niedrigschwellige Kontaktaufnahme und Angebote, z.B. durch Streetwork und unsere Anlaufstelle
• Essensausgabe mehrmals wöchentlich
• Not- und Grundversorgung
• Beratungsangebote (Sozial- und Rechtsberatung) und Begleitung
• Legalisierung
• Aktivierende Angebote
• Erlebnispädagogik
• Vermittlung in weiterführende Hilfen
• Reintegrationsfreizeiten
Unsere ineinandergreifenden Angebote sollen zur Stabilisierung und Verbesserung der aktuellen Lebenssituation beitragen, um ein weiteres „Abrutschen“ bzw. die Verschlimmerung der Schwierigkeiten zu verhindern. Sobald eine Grundstabilität erreicht ist, unterstützen wir die Kinder und Jugendlichen dabei, Möglichkeiten zu erhalten, ihre Schule abzuschließen, eine Ausbildung zu beginnen oder eine Arbeitsstelle zu finden.
Quelle für Zahlen und weitere Informationen: https://www.dji.de/themen/jugend/strassenjugendliche.html